Architektur | Im Sommer wollen alle nach draußen – warum aber gelingt es Architekten und Stadtplanern so selten, geeignete Räume dafür zu schaffen?
Die Welt ist eine Bühne – so steht es unsichtbar über unseren Stadttoren geschrieben. Besonders deutlich in Köln, wo die City zur Bühne der Lebensstile wird. Wir alle spielen Theater, heißt die Devise, drinnen und draußen, gern mitten auf der Straße, überall, wo etwas los ist, am liebsten „auf’m Platz“.
Natürlich nicht auf dem Ebertplatz, der von Auto und Straßenbahn zerschnittenen Verkehrsschleuse am Ring. Gern aber auf dem Brüsseler Platz im Herzen des Belgischen Viertels, mit der Pfarrkirche St. Michael als magnetisch wirkender Mitte und den Kneipen und Läden drum herum. An lauschigen Frühsommerabenden belagern Hunderte, meist junge Leute den Quartiersplatz – zum Ärger der Nachbarn, die ihren Platz hegen und pflegen und nachts ihre Ruhe haben wollen.
Seine Beliebtheit macht den „Brüsseler“ zum lokalen Politikum. Dabei ist diese Schöpfung des späten 19. Jahrhunderts nichts Besonderes, nur ein „gelungener Raum“, wie der Kölner Architekt Kaspar Kraemer sagt, in „gut erreichbarer, zentraler Lage“, mit „klaren Platzkanten“, „räumlicher Geschlossenheit“, „Zugänglichkeit von mehreren Seiten“ und Geschäften im Erdgeschoss. Da „stimmt einfach alles“, konstatiert Kraemer – und fragt sich: „Warum bauen wir so was nicht mehr?“
Weil die Grundstücksverhältnisse in den Innenstädten es nicht zulassen. Vor allem: weil die Moderne, speziell in ihrer Nachkriegsvariante mit dem Ideal der „aufgelockerten Stadt“, nichts wissen will vom traditionellen Platz. Weil sie die Stadt als Landschaft versteht, als abstraktes Beziehungssystem von frei stehenden Gebäuden, das den geschlossenen, steinernen Raum für Treffen und Begegnungen aufgibt zugunsten des durchgrünten Zeilenbaus.
»Die Moderne hat keinen nennenswerten Platz hervorgebracht«
Christoph Mäckler
Der Architekt Christoph Mäckler, Gründer des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund, hat die Folgen beschrieben: die „unbefriedigende Gestalt“ der modernen Stadträume. Kaum ein Platz, auf dem man sich heimisch fühlen könne, der eine „identitätsbildende Gestalt“ besitze. „Es gibt wunderbare alte Plätze, in Bamberg oder Landshut“, so Mäckler, „aber die letzten 60 Jahre haben keinen einzigen nennenswerten Platz hervorgebracht. Es gibt ihn nicht, den gebauten Stadtraum des 20. Jahrhunderts.“
Dabei lebt das Bedürfnis danach. Es ist so alt wie die europäische Stadt: Ob griechische Agora, römisches Forum oder mittelalterlicher Markt – der Platz macht die Mitte. Als Ort des Güteraustauschs prägt er die Identität der Stadt, ist er ihre Visitenkarte, bestimmt er ihre Kommunikation: Eine kompakte, auf Sicht- und Hörweite abgestimmte Form des Zusammenlebens. Die mittelalterliche Piazza del Campo in Siena führt diese Integrationsfunktion vor Augen: Wie ein Amphitheater angelegt, ringsum von Wänden eingerahmt, vermittelt der Platz dem Spaziergänger von jedem Standpunkt aus das Gefühl, mitten in der Stadt zu stehen.
Erst die Moderne hat den Stadtplatz zum Durchgangs- und Vorbeifahrraum beschleunigter Personen- und Warenströme gemacht. Doch merkwürdig: Unsere Vorstellung vom wohlproportionierten städtischen Platz bleibt auch im Zeitalter des Internets an den großen alten Vorbildern orientiert, am Campo oder Markusplatz in Venedig. Wer gedacht hat, mit dem Siegeszug der virtuellen Datenräume schwinde die Bedeutung des echten Mittelpunkts, sieht sich gründlich getäuscht. Die Jung-Urbanisten der Generation 2.0 sitzen abends nicht zu Hause am Computer, sondern suchen das Gedränge, die Face-to-Face-Begegnung vor Ort, im Schutz des städtischen Gehäuses. „Lebendige städtische Plätze“, so der Braunschweiger Stadtplaner Walter Ackers, „werden noch immer von den Dimensionen des alten Marktplatzes her definiert, bis heute bestimmt er unser Raumempfinden – kleinere oder mittlere Größen, immer weitgehend räumlich geschlossen und gut vernetzt“.
Lust am Unbekannten
Unser kulturelles Gedächtnis versteht den Platz als Szenerie, die das Gefühl von Geborgenheit weckt, aber auch Erlebniserwartungen freisetzt, die Lust am Unbekannten. Plätze formen die Wahrnehmung, laden zum Wechselspiel von Sehen und Gesehen-Werden ein. Deshalb ist die Überschaubarkeit so wichtig. Die traditionelle europäische Stadt, sagt Walter Ackers, basiere auf der „Anteilnahme am Leben vor der Tür“, der Platz lebe von den „starken Rändern“, von der „sozialen und produktiven Sphäre derjenigen, die dort wohnen, arbeiten und Handel betreiben“.
Das freilich setze städtische Lebensräume voraus, die man heute „so einfach nicht mehr erzeugen könne“. Allenfalls im kleinen Maß der Wohnsiedlungen. Oder in Ausnahme-Stadtvierteln wie der Tübinger Südstadt, wo Dichte und Nutzungsmischung zum Programm gemacht wurden.
Die schönsten Plätze in deutschen Städten Wo es ein Glück ist, anzukommen und zu verweilen:
- Bamberg: Domplatz
- Berlin: Gendarmenmarkt
- Bremen: Marktplatz mit Roland
- Coburg: Marktplatz
- Dresden: Alt- und Neumarkt
- Frankfurt am Main: Opernplatz
- Hildesheim: Marktplatz
- Leipzig: Markt
- Münster: Prinzipalmarkt
- München: Odeonsplatz
- Osnabrück: Markt
- Quedlinburg: Marktplatz
- Speyer: Domplatz
- Stuttgart: Schillerplatz
- Wittenberg: Marktplatz
Vitale städtische Plätze brauchen relativ kleine Einheiten, wie sie für die Gründerzeit noch selbstverständlich waren. Daran mangelt es durchweg den Platzprojekten, die in den vergangenen Jahren in Deutschlands Zentren gebaut worden sind. Der Kölner Mediapark etwa zitiert zwar mit seinen kreisförmig um den zentralen Platz angeordneten Gebäuden und dem 148 Meter hohen Büroturm den Campo in Siena, erreicht aber nicht entfernt dessen Kompaktheit, geschweige denn seinen Charme.
Der Potsdamer Platz in Berlin macht immerhin ernst mit dem Anspruch, klar die Grenze zwischen Gebäuden, Straßen und Platz zu markieren: Die Außenwände des Innenraums werden hier, nach der Formel des Architekturtheoretikers Georg Franck, tatsächlich zu „Innenwänden des Außenraums“. Die Grundrisse wenden sich dem öffentlichen Raum zu, die Gebäude bilden trotz ihrer Unterschiedlichkeit ein städtebauliches Ensemble; sie zeigen Teamgeist.
ästhetische Katastrophe
Das ist die Ausnahme. Neubauten suchen gern den Kontrast, anstatt sich durch Material, Farbgebung und Geschosshöhe in die Nachbarschaft zu integrieren. Vor allem wenn sie auf den überlieferten Bestand trifft, ist die Architektur meist blind für ihre Umgebung. Der Architekt Christoph Mäckler hat am Beispiel Hessens die Verunstaltung der Straßen und Plätze drastisch beschrieben. Gerade in kleineren und mittleren Städten wie Darmstadt, Bad Hersfeld oder Limburg gelinge es Kaufhäusern oder Stadtbibliotheken mühelos, die Wirkung von Plätzen zu zerstören – durch unpassende Fassaden oder durch schieren Gigantismus, der die tradierte Parzellenstruktur ignoriert.
Wie Plätze zu Opfern der Verkehrsplanung werden, demonstriert die Stadt Frankfurt. Der Vorplatz des Hauptbahnhofs ist laut Mäckler „eine funktionale wie ästhetische Katastrophe“. Die Konstablerwache: ein „öder und unmaßstäblich großer Platz“. Die Hauptwache: eine ober- und unterirdische Verkehrsschneise, die sich zu einem Platz erst entwickeln kann, wenn das „Verkehrsloch zugeschüttet wird“ und die Fassaden „in Ordnung“ gebracht werden.
Wie Architektur dem städtebaulichen Ensemble dienen kann, hat Mäckler selbst am Frankfurter Opernplatz gezeigt. Sein 170 Meter hoher Opernturm greift mit der hellen Natursteinfassade den gelbbeigen Stein der die Alte Oper umgebenden Fassaden auf und schließt den Platz an der Westseite mit einem siebengeschossigen Sockel, dessen Traufhöhe der einstigen Randbebauung entspricht. Damit wird der Opernplatz wieder als Platzraum aus gelbbeigem Stein wahrgenommen. Ähnlich der Anfang des Jahres in Betrieb genommene Tower 185, ein 200 Meter hoher Büroturm zwischen Bahnhof und Messe: Am Eingang zum Hochhaus öffnet sich ein hufeisen-förmiger, großer Platz, dessen sechsgeschossige Arkadenarme die Besucher hineingeleiten.
Kleiner Schönheitsfehler: Noch fehlt die Belebung durch Restaurants und Läden. Form und Material allein, Mäckler weiß es, schaffen keinen lebendigen Platz. Es bedarf offener, geschäftlich genutzter Erdgeschosse – und des Wohnens. Deshalb ist es entscheidend, so der Stadtforscher Wolfgang Christ, dass die öffentliche Hand wieder in traditionelle Innenstadtqualitäten investiert: „Erst wenn attraktive Wohnhäuser in der City gebaut werden, mit einladenden Plätzen und intelligenten Verkehrsangeboten, kurz, wenn es wieder Spaß macht, in der Innenstadt zu leben, entdeckt der Handel den Marktplatz wieder“ – und gibt damit der Stadt ihre kulturelle Grundlage zurück als Ort des geschäftigen Treibens.
Das setzt eine integrative Planung voraus, die alle Akteure der Innenstadt zusammenführt, vom Architekten bis zum Verkehrsexperten. Die Stadt Ulm hat es wenigstens versucht: Mit dem Hans-und-Sophie-Scholl-Platz zwischen Münster- und Rathausplatz ist die Neue Mitte Ulm entstanden, ein Ensemble, das Bank, Kunsthalle, Kaufhaus und Wohnungen vereint. In Stuttgart baut der Projektentwickler ECE auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs neben der Bibliothek 21 ein auf drei Häuser verteiltes Einkaufszentrum mit Wohnungen und Hotels. Das Herz des neuen Quartiers: der Mailänder Platz mit Eichenhain und Wasserspielen.
Gebaute Umgangsform
In Köln, wo 140 000 Menschen diesseits der Innenstadtringe auf einer Fläche leben, sind die Voraussetzungen eigentlich hervorragend. Es wird gewohnt und gearbeitet in der City. Doch wenn der öffentliche Raum, wie Walter Ackers sagt, „gebaute Umgangsform ist“, dann erzieht Köln zur Rücksichtslosigkeit: Fußgänger werden auf den von Autos und Straßenbahn verschonten Restflächen „gnadenlos gegängelt“.
Für die Ringstraßen, die er „Zonenrandgebiete“ nennt, hat Ackers ein Programm zur Zivilisierung des Verkehrs vorgelegt. Es lässt den Menschen und dem Verkehr Raum. Die Bürgersteige, der „soziale und auch wirtschaftliche Wurzelraum“ der Stadt, sollen verbreitert werden, die Plätze durch „Prägnanz und Einfachheit“ wirken: Der „Ebert“ erhält seinen Charakter als Schmuckplatz zurück, der „Barbarossa“ bleibt Verkehrsplatz. Der Autoverkehr, so Ackers, könne durchaus zur Belebung von Straßen und Plätzen beitragen – wenn auch die Ränder sich entfalten können. ■
christopher.schwarz@wiwo.de


